Traditionen
Norddeutschland
Kultur & Kurioses
Jeder Teil Deutschlands hat seine ganz eigenen Besonderheiten und Macken, die für den Rest Deutschlands nur schwer nachvollziehbar sind. So natürlich auch der Norden. Es gibt Dinge, die versteht man nur, wenn man hier aufgewachsen ist. Nicht umsonst heißt es „Nordisch by Nature“.
In dieser Ode an meine Heimat zeige ich euch, was außer schlechtem Wetter sonst noch typisch norddeutsch ist.
Wenn man im Ausland an Deutschland denkt, denkt man zunächst meist an Berge, Burgen und Bier. Das Ganze kombiniert mit Lederhosen, Maßbier-Krügen, Weißwurst und Brezeln und für den Touristen ist das Bild von Deutschland perfekt. Dabei haben wir doch so viel mehr zu bieten.
Als Norddeutscher wurde ich oft von Freunden aus dem Süden gefragt, was denn alles so typisch norddeutsch ist. Was ist anders? Womit verbringen die Einheimischen die Zeit? Was essen die Leute? Ist dort wirklich nur schlechtes Wetter und sind die Leute echt so wortkarg?
Für meinen Teil kann ich das wortkarge schon mal verneinen. Außerdem ist das Wetter gar nicht so schlecht und wenn, dann gibt’s dafür die passenden Klamotten. Aber trotzdem gibt es bei uns im Norden die ein oder andere Besonderheit.
In diesem Artikel will ich euch ein paar norddeutsche Leckereien vorstellen. Vor allem aus dem nordwestdeutschen Emsland und Ostfriesland, wo ich herkomme. Dazu zeige ich euch auch einige kuriose Traditionen, die natürlich auch mit Essen und Trinken zu tun haben.
1. Grünkohl mit Kassler und Pinkel
Wenn man als Nicht-Norddeutscher zum ersten mal Grünkohl mit Pinkel hört, denkt man wahrscheinlich erstmal: „Pinkel? Kann man das essen?“. Ja, man kann. Hierbei handelt es sich um eine geräucherte Grützwurst, also eine Wurst, die neben Fleisch auch gemahlenes Getreide enthält.
Je nach Region unterscheiden sich die Verhältnisse zwischen Fleisch und Getreide in der Wurst etwas. Der Name Pinkel hat jedoch nichts mit dem pinkeln (urinieren) zu tun, sondern kommt eher von einer zusammengedrängten Masse oder vom Mastdarm, der häufig als Wursthülle genutzt wurde.
Neben dem Pinkel findet man in traditionellen Grünkohlgerichten oft auch Speck und Kassler oder Kohl- bzw. Mettwurst, mein persönlicher Favorit. Als Beilage werden gekochte Kartoffeln oder Bratkartoffeln gereicht.
Ein No-Go ist es jedoch, die Kartoffeln bereits mit in den Grünkohl einzukochen. Wo bleibt denn sonst der intensive Eigengeschmack? Dazu ein Bier und der obligatorischen Schnaps – also ein Weizenkorn – und das typische Grünkohlgericht ist fertig.
2. Boßeltouren und Klootschießen
Auch in anderen Regionen haben viele schon von den „Kohlfahrten“ gehört, die in Nordwestdeutschland im Winter weit verbreitet sind. Dabei laufen Gruppen aus meist 10-20 Personen durch die Natur, ausgerüstet mit einem gefüllten Bollerwagen (mit Alkohol natürlich), mit dem Ziel, zum „Kohlessen“ in einen Gasthof einzukehren. Im Emsland und Ostfriesland wird diese Tour gerne um einen Boßel-Wettkampf ergänzt, wodurch ich schon zur nächsten Tradition komme.
Woher genau das Boßeln kommt ist unbekannt, selbst Wikipedia kann wenig dazu sagen. Dabei ist es nicht nur eine Tradition und Sportart im norddeutschen Raum, sie wird auch international gespielt. Ein wichtiger Punkt ist, dass es sowohl die Sportboßler als auch die Freizeitboßler gibt. Während die einen echten professionellen Wettkampf daraus machen, laufen die anderen zusammen mit Bollerwagen und Alkohol mehr oder minder einfach den Kugeln hinterher.
Das grundsätzliche Spielprinzip ist das Gleiche: Es wird in zwei Teams von etwa 5-10 Teilnehmern gespielt. Dabei soll eine vorher bestimmte Route mit möglichst wenigen Würfen abgespielt werden. Die Spieler treten in einer vorher festgelegten Reihenfolge gegeneinander an. Das Team, welches nach einem Durchgang eine längere Strecke erboßelt hat, hat diese Runde gewonnen.
Vor allem beim Freizeitboßeln wird erfahrungsgemäß zu späterer Stunde und mit höherem Alkoholpegel weniger auf die Regeln geachtet, sich dabei aber mehr laut lachend über die eleganten Fehlwürfe gefreut.
3. Speckendicken
Wer keine Lust hat, nach der Boßeltour den klassischen Grünkohl zu essen, findet vor allem im niederländischen Grenzgebiet um das ostfriesische Rheiderland eine andere Alternative.
Speckendicken werden vor allem im Winter, insbesondere rund um Silvester und Neujahr zubereitet. Dabei handelt es sich um eine Art Pfannkuchen, der aus einem speziellen „Speckendickenmehl“ (Weizenmehl und Roggenschrot) hergestellt wird. Ursprünglich bestand der Teig aus Buchweizenmehl, aber das ist heutzutage nicht mehr überall erhältlich.
Speckendicken – Quelle: www.ostfriesland.de
Weitere Bestandteile des Teigs sind vor allem Zuckerrübensirup, etwas Anis, Kardamom und luftgetrocknete Mettwürste. Letztere werden in dünne Scheiben geschnitten und dann in einer Pfanne mit Öl angebraten. Über die Mettwurstscheiben wird dann ein Scheif (norddeutsch für Schöpfkelle) vom Teig gegeben und dieser dann mit durchgebacken. Alternativ kann man zur Zubereitung auch ein Waffeleisen benutzen. Die Speckendicken werden dann warm serviert.
Eine andere norddeutsche Spezialität sind Dithmarscher Mehlbeutel, die ihr bei Daniels Urlaub in Schleswig Holstein kennen lernen könnt.
4. Kranz abtreten, Rathaustreppe fegen & Kinnertöön
Typisch norddeutsch ist der Schachtelkranz. Für Unverheiratete ist der 25. und der 30. Geburtstag im Nordwesten Deutschlands vielleicht etwas besonderer als in anderen Teilen Deutschlands. Denn hier wird traditionell der Kranz abgetreten, bzw. die Rathaustreppe gefegt.
Zu diesem Anlass erhalten die 25-jährigen Geburtstagskinder aus ihrem Freundeskreis einen Kranz aus Schachteln oder alten Socken um das Haus gehangen. Diese sollen die unverheirateten Jubilare daran erinnern, dass sie nun „alte Schachteln“ (Frauen) oder „alte Socken“ (Männer) sind.
Aufgabe des Geburtstagkindes ist es nun, den Kranz abzulaufen. Dies ist verbunden mit allerlei Spielregeln, die die Spiellänge, mögliche Zwischenspiele und vor allem die Trinkmenge maßgeblich mit beeinflussen können. Denn eins ist unausweichlich: Schnaps getrunken wird immer. Gerne wird dann in kleinen, abwechslungsreiche Spielen mit den Mitspielern um die Anzahl der zu trinkenden Schnäpse gerungen.
Ähnlich ist es dann zum 30. Geburtstag. An diesem Tag müssen männliche Jubilare die Rathaustreppe fegen, die weiblichen die Klinke der Rathaustür putzen. Dies ist natürlich auch mit Spielchen und allerlei Alkohol verbunden und zwar solange, bis das Geburtstagskind von einer „Jungfrau“ freigeküsst wird.
Das Ziel und das Ende solch eines Events ist eigentlich immer klar: Alle sind angetrunken, machen sich gerne mal zum Clown und haben viel Spaß.
Das Leben der Norddeutschen geht dann meist auch typisch norddeutsch weiter. Wenn als nächstes die Familienplanung ansteht, gibt es auch schon die nächste Tradition. Kinnertöön (Hochdeutsch Kinderzehen) sind in etwas Zucker und Weinbrand bzw. Rum eingelegte Rosinen, die vor der Geburt für einige Tage bis Wochen in einem licht- und luftdichten Gefäß lagern. Sobald dann das Kind danndas Licht der Welt erblickt, servieren die frisch gebackenen Eltern die Kinnertöön für Freunde und Verwandte und stoßen damit auf das Familienglück an.
5. Tee trinken
Dieser Teil kommt für die meisten von euch wahrscheinlich nicht überraschend: Der Norden und vor allem Ostfriesland ist bekannt für den Ostfriesentee. Nicht nur dort, sondern auch im benachtbarten Emsland und Ammerland wird viel Tee getrunken. Das geht auch zu jeder möglichen und unmöglichen Tageszeit.
Immer wenn ich mal für ein Wochenende in die Heimat fahre gibt es Tee. Sei es morgens zum Frühstück, zwischendurch zum „Elührtje“, am Nachmittag und manchmal auch zum Abendessen. Mindestens eine Tasse, meistens aber etwa drei Tassen Tee dürfen es dabei auch sein.
Tee und Kluntje – Quelle: pixabay.com & www.ostfriesland.de
Die bekanntesten Teemarken sind Thiele und Bünting. Es scheint, dass jede Marke dabei ihre eigene Region hat, in der die Bewohner auf eine der beiden Marken schwören.
Traditionell kommt bei der Teezeremonie zunächst ein Stück Kluntje (ein größeres Stück Kandis-Zucker) in die Teetasse. Darauf wird dann der Tee gegossen, wobei man den Zucker knistern hören kann. Als letztes kommt der Schlagrahm dazu, der am Rand eingegossen wird und dann in Wölkchen im Tee wieder aufsteigt. Üblicherweise wird nicht umgerührt, damit man beim Trinken zunächst das Sahnige, dann das Bittere des Tees und am Ende die Süße des Zuckers schmeckt.
Fazit zum Thema „typisch norddeutsch“
In meinen Berichten kann ich natürlich immer nur einen kleinen Teil des Großen und Ganzen abbilden. Aber vielleicht habt ihr schon anhand dieser Beispiele erkannt, dass der Norden mehr zu bieten hat als Fisch und schlechtes Wetter.
Eigentlich sind wir doch ein liebenswert-verrückter Haufen. Es gibt tolle, für Außenstehende manchmal etwas merkwürdige Traditionen, die uns trotz unserer vermeintlichen Wortkargheit zusammenschweißen.
Was kennt ihr so aus dem Norden? Gibt es weitere lustige Anekdoten oder Leckereien, von denen ihr berichten könnt? Schreibt mir gerne einen Kommentar.
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Hallo Hendrik,
ich glaube, kulinarisch werde ich mit dem Norden Deutschlands nicht wirklich warm.
Das ging mir schon so, während ich einige Zeit dort wohnte.
Nur beim Tee, da bin ich gerne dabei.
Liebe Grüße, Katja
Ich war bisher noch nie in Norddeutschland, aber schon witzig wie „anders“ es doch in vielen Teilen Deutschlands ist. Ich komme aus dem Süden. Das mit den „alten Schachteln“ ist ja wirklich eine total witzige Nummer 😀
Ein sehr schöner Bericht. Kommt mir alles sehr bekannt vor 🙂
Ich war auch schon boßeln und Grünkohl liebe ich ja total. Freue mich schon auf die ganzen Kohltouren im Frühjahr 🙂
Liebst,
Sarah von Vintage Diary
Ha ha in fühle mich in die Zeit zurückversetzt als ich vor vielen Jahren nach Norddeutschland gezogen bin und gerätselt habe, was es mit dem Rathaustreppen fegen, Klinken putzen und Kranz binden auf sich hat. Boßeln und Klootschießen bzw die Begeisterung dafür hat sich mir nie erschlossen. Und auch für eine Kohlfahrt konnte mich in all den Jahren niemand begeistern. Aber bis ich Vegetarier wurde habe ich sehr begeistert Grünkohl und Pinkel gegessen. Im Grunde habe ich Grünkohl im Oldenburger Land erst richtig lieben gelernt. 🙂 lG Claudia
Ein sehr interessanter Beitrag. Da ich hier im Südwesten Deutschland lebe, kenne ich mich mit deiner Gegend so überhaupt nicht aus. Liest sich so, als gäbe es vor allem Herzhaftes und Deftiges in der Küche. Manches klingt erstmal komisch, aber ich glaube, ich würde alles probieren 🙂
Hey Anika,
es gibt auch leichte Küche 😉 Dann lade ich dich hiermit einfach mal in den Norden zum Essen ein 🙂
Hallo Hendik,
Grünkohl mit Pinkel ist lecker und selbst in Berlin unverzichtbar! Ich habe im letzten Jahr zum ersten Mal Labskaus gegessen – mir schmeckt es – und ich finde,der gehört auch unbedingt in den Norden!Ich nehme den Tee mit Schuß, dann wird mir wenigstens richtig warm.
Bosseln möchte ich auch mal ausprobieren.
LG Susanne
Hallo Henrik,
tolle Einblicke, doch bei Grünkohl bin ich raus 🙂 während meiner Norddeutschland-Zeit gab es den leider des Öfteren 😉
Ich würde dann gerne den Tee nehmen.
Liebe Grüße, Katja
Hey Katja,
wo warst du denn in Norddeutschland? Witzig, wie sich die Geister am Grünkohl scheiden. Persönlich ist es eines meiner Lieblingsgerichte 😀
Lieber Henrik,
Wahnsinn! Ich hatte von so vielem noch nichts gehört. Außer vom ,,Grünkohl mit Kassler und Pinkel“. Das kannte ich immerhin schon. Aber es sind wirklich ein paar großartige und tolle Eigenarten und Bräuche, die ihr da habt. 🙂
Ich liebe solche regionalen Unterschiede. 🙂 Vielen Dank für die Aufklärung.
Viele liebe Grüße
Kathi
Klasse! Ein Beitrag mit was Leckerem, was zum Spielen und was Neuem. Wie in einem Ü-Ei. Boßeln kannte ich noch nicht. Aber Grünkohl ist mal wieder genau mein Ding! Sehr gut!
Du hast den Labskaus vergessen 😀 Der ist hier in Oldenburg auch sehr beliebt und bekannt.
Vielleicht nicht jedermanns Ding, aber ich find es super lecker!
Grünkohl mag ich nicht, ebenso wie Pinkel… da kommen dann die südländischen Gene durch, sorry 😀 Dafür trink ich umso lieber Tee mit Kluntje. Das ist ein absolutes Muss und ich kauf selbst immer nur Kluntje ein für meinen Tee 🙂
Und zu meinem 25. letztes Jahr musste ich auch meinen Schachtelkranz abtreten, hui das war lustig. Und alkoholreich, aber psst 😀
Liebe Grüße aus Oldenburg 🙂
Michelle | The Road Most Traveled
Ich finde es schon wieder direkt interessant, wie sich die Regionen doch unterscheiden. Labskaus ist mir zwar bekannt, aber ich kenne bei mir in der Gegend kaum jemanden, der das häufig isst 😀
Kranz abtreten ist immer witzig, eigentlich für alle beteiligten. Ich hoffe nur, dass du keinen Kater am nächsten tag hattest 😉
Lieber Henrik,
du wirst es nicht glauben, aber selbst ich als Süddeutsche habe schon von Grünkohl und Pinkel gehört! 🙂
Na gut ich gebe es zu, meine Freundin kommt von Juist und wir pflanzen den Grünkohl und sie bekocht uns dann sehr lecker und deftig und ich muss sagen: Lecker!
In den Teegenuß bin ich auch schon gekommen und für alles andere werde ich einfach mal persönlich hoch kommen.
LG
Charnette
Hallo Charnette,
ja Grünkohl ist schon das Feines. Freut mich, dass es euch schmeckt 🙂 Falls du für deine nächste Norddeutschland-Reise noch ein paar Tipps brauchst, schreib mir gerne 😉